„Ab der fünften Klasse wird den Kindern erklärt, dass sie es mit dieser oder jener Einstellung niemlas zum Abitur bringen. Aber woher soll denn ein Zehnjähriger eine Einstellung haben? Was soll das? Warum werden die Jungs und Mädchen dazu gezwungen, alles gleichzeitig gleich gut zu können? Das sind doch keine Brühwürfel mit gleicher Kantenlänge und gleichem Geschmack. Das sind Menschen“. (Manfred Prohaska)
Nur ein Punkt fehlt Fabian Prohaska für die Zulassung zum Abitur. Ein einziger, verdammter Punkt! Und das alles nur, weil sein Lateinlehrer Herr Engelhardt, ein Pädagoge alter Schule, die um zwei Minuten verspätete Abgabe von Fabians Hausarbeit aus Prinzip nicht akzeptieren wollte. Fabians Vater, Manfred Prohaska kann es nicht fassen und beschließt, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. An einem Freitagnachmittag stürmt er das Lehrerzimmer von Fabians Schule, um den Korinthenkacker von Lateinlehrer zur Rede zu stellen. Klaus Engelhardt ist noch anwesend. Und mit ihm die Französisch-Kollegin Lohmann sowie die Herren Arndt, Vogel und Mertens. Alle fünf befinden sich mental bereits im Wochenende und zeigen deshalb nur wenig Interesse an dem Anliegen des aufgebrachten Vaters. Nur die ebenfalls noch anwesende Referendarin Bettina Schuster verströmt noch Ambition. „Am Freitagnachmittag nach 15 Uhr geht das schon gar nicht“, befindet Kollegin Lohmann. Und weil sich der arrivierte Lehrkörper an diesem Punkt ausnahmsweise mal einig ist, wollen alle gehen. Manfred Prohaska sieht rot und zieht eine Pistole. Keiner kommt mehr raus. Was nun folgt ist ein höchst unterhaltsames Kammerspiel erster Güte. Vater Prohaska gibt den arroganten Paukern genau eine Stunde für eine spontane Noten-Konferenz, deren Ergebnis für ihn bereits feststeht: Fabian soll diesen Punkt erhalten und damit auch die Zulassung zum Abitur.
Manfred Prohaska hat die Rechnung aber ohne die Lehrer gemacht. Seine „Geiseln“ verhalten sich längst nicht so, wie man es von ebensolchen erwartet. Die von Prohaska vorgegebene Stunde wird weidlich für Diskussion und Streit über fast alles genutzt. Um den Schüler Fabian geht es dabei allerdings nur ganz am Rande. Viel wichtiger scheint die Klärung so elementarer Fragen zu sein, wie zum Beispiel: wer sich wann morgens auf den falschen Parkplatz gestellt hat oder ob der etwas zu saloppe Sport-Kollege Mertens tatsächlich Schülerinnen schwängert und wessen Unterrichtsmethoden man eh schon immer zum Kotzen fand… Zwischen Filterkaffee und unkorrigierten Hausarbeiten wird mit viel Emotion und Sarkasmus alte Schmutzwäsche gewaschen, bis hin zur einen oder anderen kleinen Handgreiflichkeit.
Jan Weiler hat diese Geschichte bereits 2017 als Hörspiel für den WDR geschrieben und selbst die Rolle des Vaters gesprochen. Das Reizvolle an diesem Plot, sagt Weiler, sei die Tatsache, dass sich die Handlung auf einen Raum beschränkt und deshalb ein Gesellschaftsbild im Kleinen entsteht. Das macht diesen Stoff so ideal für die Theaterbühne. Auf die Frage, welche der Figuren er am liebst mag, sagt er im Interview: „Ich mag sie alle. Und sie haben alle recht. Sie haben alle eine Position, die man irgendwie verstehen kann“. Das macht es natürlich nicht einfacher, ist aber wie im richtigen Leben. Ganz nebenbei zeigt uns der Autor auch ein Stück gelebte Bildungsmisere. Auf sehr lustige Weise!
Im Sommer 2021 verfilmte Sönke Wortmann die EINGESCHLOSSENE GESELLSCHAFT mit Starbesetzung (Anke Engelke, Nilam Farooq, Justus von Dohnányi, Florian David Fitz, Thorsten Merten, Thomas Loibl u.a.). Jan Weiler schrieb auch das Drehbuch. Der Film kam im April 2022 in die Kinos.
Interview mit Jan Weiler – Video mit freundlicher Genehmigung des Hörverlags – Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH